Die während der Corona-Pandemie geltenden Ausnahmeregelungen, Beschlüsse der Mitglieder und sonstiger Vereinsorgane auch ohne eine einschlägige Satzungsgrundlage außerhalb einer Präsenzveranstaltung herbeiführen zu können, sind am 31.08.2022 ausgelaufen. Der Gesetzgeber hat deshalb eine grundlegende Änderung des § 32 BGB zu Vereinsversammlungen beschlossen. Danach können Vereine künftig neben den Präsenzversammlungen ihrer Vereinsorgane auch ohne eine entsprechende Regelung in der Satzung hybride Versammlungen bzw. Sitzungen einberufen und bei einem entsprechenden Beschluss der Mitglieder auch rein virtuelle Versammlungen bzw. Sitzungen durchführen.
Der neugefasste Gesetzestext des § 32 Abs. 2 BGB lautet dazu:
1 „Bei der Berufung der Versammlung kann vorgesehen werden, dass Mitglieder auch ohne Anwesenheit am Versammlungsort im Wege der elektronischen Kommunikation an der Versammlung teilnehmen und andere Mitgliederrechte ausüben können (hybride Versammlung). 2 Die Mitglieder können beschließen, dass künftige Versammlungen auch als virtuelle Versammlungen einberufen werden können, an der Mitglieder ohne Anwesenheit am Versammlungsort im Wege der elektronischen Kommunikation teilnehmen und ihre anderen Mitgliederrechte ausüben müssen. 3 Wird eine hybride oder virtuelle Versammlung einberufen, so muss bei der Berufung auch angegeben werden, wie die Mitglieder ihre Rechte im Wege der elektronischen Kommunikation ausüben können.“
Nach der Neufassung des § 32 Absatz 2 Satz 1 BGB kann das Einberufungsorgan, bei Mitgliederversammlungen also regelmäßig der Vorstand, bei der Berufung (Einladung) der Mitgliederversammlung auch ohne eine entsprechende Satzungsregelung vorsehen, dass diese als sog. Hybrid-Versammlung durchgeführt wird. Dies bedeutet, dass die Mitgliederversammlung wie gewohnt zwar in Präsenz stattfindet, sich am Versammlungsort dann aber (nur) ein Teil der Mitglieder einfindet, ein anderer Teil sich dagegen in die Versammlung im Wege der elektronischen Kommunikation einbringen kann.
Darüber hinaus eröffnet § 32 Abs. 2 Satz 2 BGB die weitere Möglichkeit, dass im Verein Versammlungen ausschließlich virtuell stattfinden. Solche virtuellen Versammlungen setzen allerdings voraus, dass das Einberufungsorgan dazu vorher eine ausdrückliche Ermächtigung der Mitglieder einholen muss. Die Ermächtigung (in der vorausgehenden Mitgliederversammlung) kann sich auf die darauffolgende Versammlung beschränken, sich aber als generelle Entscheidung bis zu einer späteren Aufhebung wiederum durch Beschluss auch auf alle künftigen Mitgliederversammlungen erstrecken. Denkbar und für die Praxis leichter zu handhaben ist auch, dass statt der jeweils einzuholenden Ermächtigung die generelle Zulassung rein virtueller Mitgliederversammlungen in die Satzung aufgenommen wird.
Mit der Einladung zu einer Hybridversammlung ebenso wie zu einer rein virtuellen Versammlung ist zwangsläufig auch die Pflicht des Einberufungsorgans verbunden, die Art der elektronischen Kommunikation vorzugeben (§ 32 Absatz 2 Satz 3 BGB). Diese kann nicht nur Bild- und Tonübertragungen, sog. Videokonferenztechnik, vorsehen, sondern jegliche geeignete elektronische Kommunikation wie beispielsweise Telefonkonferenz, „Chat“- Funktion, Abstimmung per E-Mail oder notfalls auch SMS.
Nicht in die gesetzliche Neuregelung übernommen wurde die bis 31.08.2022 mögliche Option, dass Mitglieder bereits vor der Versammlung abstimmen und ihre Entscheidung dann dem Vorstand in Schriftform zuleiten können, ebenfalls nicht, dass Beschlüsse unter erleichterten Bedingungen ohne eine Mitgliederversammlung in einem schriftlichen Umlaufverfahren gefasst werden können; hier ist es - nunmehr in § 32 Abs. 3 BGB - dabei geblieben, dass ohne eine Versammlung ein Beschluss nur dann gültig ist, wenn alle Mitglieder ihre Zustimmung zu dem Beschluss schriftlich erklären.
Die mit den § 32 Abs. 2 BGB neu geschaffenen Optionen, Versammlungen teilweise oder zur Gänze virtuell herbeizuführen, gelten insbesondere auch für Sitzungen des Vorstands und anderer Vereinsorgane (§§ 28, 32 BGB). Gerade für deren Sitzungen, die lediglich für einen kleineren Personenkreis zu organisieren sind, könnten die Neuerungen von Interesse sein; dies gilt um so mehr, als für eine Ermächtigung zur virtuellen Sitzung allein ein Mehrheitsbe-schluss der Vorstandsmitglieder ausreicht.
Zahlreiche Vereine haben zwischenzeitlich ihre Satzungen in weitgehender Übernahme der bis zum 31.08.2022 geltenden Corona - Ausnahmeregelungen geändert. Diese Satzungsbestimmungen greifen in der Regel weiter als die nunmehrigen gesetzlichen Möglichkeiten, sie bleiben auch weiterhin gültig. Nach § 40 BGB kann durch die Satzung nämlich auch der neugefasste § 32 Abs. 2 BGB anderweitig geregelt und damit ersetzt, erweitert oder eingeschränkt werden. So kann die Satzung vorsehen, dass die Durchführung einer rein virtuellen Versammlung nicht von der Zustimmung durch die Mitgliederver-sammlung abhängig ist, sondern die Entscheidung dem Vorstand überlassen bleibt. Wollten Vereine ausschließlich an Präsenzveranstaltungen festhalten und eine elektronische Kommunikation gänzlich ablehnen, kommen sie nicht umhin, dazu jetzt eine entsprechende Satzungsregelung zu treffen.
Ausdrücklich hinzuweisen ist, dass sich die Änderung des § 32 BGB als gesetzliche Ausnahme einer bisher zwingenden Präsenzversammlung lediglich auf die Art der Versammlung bezieht; die nach der Satzung geltenden Formvorschriften für eine ordnungsgemäße Einladung der Versammlung nach welcher Art auch immer, also beispielsweise schriftlich oder auch per E-Mail, werden davon nicht berührt.
Die Gesetzesänderung (BGBl. 2023 I Nr. 72) tritt am 21. März 2023 in Kraft. Damit gelten die Bestimmungen auch erst für Vereinsversammlungen ab diesem Zeitpunkt und keineswegs rückwirkend für die Versammlungen, die nach dem 31.08.2022 ohne entsprechende Satzungsgrundlage nicht in Präsenz durchgeführt worden sind.
Rechtsanwalt Richard Didyk